Samstag, 29. Dezember 2007

Super Pippo

Gedanken zum Champions-League-Finale 2007 im Allgemeinen und Filippo Inzaghi im Besonderen.

Am Ende gönnte sich Rafa Benitez also noch eine kleine Bosheit: Als Schiri Fandel (bis dahin tadellos!) in der 80. Minute zu Unrecht auf Strafstoß für Milan entschied, brachte Benitez, ganz Fuchs, rasch Dudek für Reina, und der unaufgewärmte Pole hopste und hampelte gleich wieder so unsachlich auf der Linie herum, dass Kaka den Ball völlig entnervt übers Stadiondach drosch. Aber was machte das jetzt noch? Nach solch einem Debakel? 4:0! Für die Reds! Milan vernascht, veralbert, verhöhnt!

Nach Toren von Riise (7., 40-Meter-Pfund, Dida unglücklich), Gerrard (26., direkter Freistoß, Dida sehr unglücklich), Kuyt (57, fulminanter Konter, Dida überlupft) und Carragher (62., Kopfball nach Ecke, Dida planlos umherirrend) sehnten die gedemütigten Rossoneri jetzt nur noch den Abpfiff herbei. Dazu Inzaghi mit Gelb-Rot (52., xte Schwalbe) und Dida mit Glatt-Rot (63., Frustfoul-Tätlichkeit) vom Platz geschickt - was machte da noch ein versemmelter Elfer? Eben. Abpfiff, der Pott, die Hymne, der Jubel, Athen trägt Rot.

Das war schon ein fantastischer Tag, dieser 23. Mai 2007 in Athen. Allerdings nur in meinen Träumen. Die Realität war ja anders. Hart und hässlich. Die Realität hieß Filippo Inzaghi. Wieder mal.

Mal außen vor gelassen, dass Milan für das stinknormale Fan-Empfinden gar nicht hätte teilnehmen dürfen an der Champions League (Schiriskandal und so), das wirklich mal ganz komplett außen vor gelassen: Konnte es einen schlimmeren Sieger geben als die uninspirierte, fit gespritzte Oldie-Truppe aus Mailand? Hätte Milan hässlicher gewinnen können, als durch zwei Inzaghi-Tore? Und hätte dieser seine Tore ekliger schießen können? Nein! Nein! Nein!

Da hat Inzaghi also eine Seuchen-Saison, ist ständig verletzt, kommt kaum zum Zug - und spielt im Finale a) von Anfang an und macht b) auch noch die zwei entscheidenden Tore. Das erste mit der Brust nach Pirlo-Freistoß. ... Mit der Brust! Und das zweite noch hässlicher: Aus dem Fast-Abseits heraus (zwei Millimeter, höchstens!) allein vor Reina, diesen lässig umkurvt und die Pille mit 3 km/h über die Linie gemurmelt. Mit 3 km/h!!

Und dann dieser Jubel. Das ist ja wirklich das hassenswerteste an Pippo Inzaghi: dieses ekstatische Geschrei, das wilde Rumgefuchtel mit den Armen. Beim zweiten Tor musste gar die Eckfahne dran glauben. Als Betrachter möchte man lieber gar nichts mehr glauben in diesen Momenten. Es ist der pure Zynismus wenn Inzaghi ein Tor schießt. Der anschließende Jubel raubt dann auch den letzten Lebenswillen.

Und es gibt ja wirklich nur diese drei Aggregatzustände des Pippo Inzaghi:

1) Inzaghi, im Abseits stehend. Wie er da immer rumlungert in der Abwehrkette! Und wie er dann viel zu früh startet, glatte fünf Meter im Abseits steht! Beim Pfiff die Welt nicht mehr versteht, wild gestikuliert, meckert, mosert, motzt! Dieses ewige Gejammer! Abseits, wieder und wieder! "Inzaghi was BORN in an offside position", hat Alex Ferguson mal gesagt. So wie es aussieht, wird er dort auch sterben.

2) Inzaghi, am Boden liegend. Wie er bei jeder Gelegenheit einfädelt, bei jeder Berührung theatralisch aufschreit, meterweit fliegt, herumfuchtelt, heult, Karte und Strafstoß und am besten gleich noch die sofortige Exekution des Gegners fordert und dann erneut die Welt nicht mehr versteht, wenn er völlig zu Recht Schwalben-Gelb sieht! Und wie er umgekehrt bei jedem Gegenspieler kratzt und beißt und die Ellbogen ausfährt! Arghh!!

3) Inzaghi, ein Tor schießend. Wie er die Abwehr einschläfert, sich fortstiehlt, urplötzlich allein vor dem Keeper steht und das Ding seelenruhig einschiebt! Wie er jede Faser seines Körpers nutzt, um das Gerät über die Linie zu plumpern! Knie, Bauch, Hintern, mit Wucht, in Zeitlupe, alles egal, der Ball muss ins Netz, und danach wird gejubelt, so einfach ist das. Es ist zum Wahnsinnigwerden!

Wenn Inzaghi auf dem Platz steht, dann gibt es genau diese drei Eventualitäten. Nichts sonst. Für die ersten beiden muss man ihn hassen. Für die dritte darf man ihn hassen. Denn es ist ja jetzt nicht so, dass Pippo Inzaghi ein herausragender Fußballer wäre. Er bringt nicht viel zustande am Ball, ist nicht mal sonderlich schnell, hat körperlich meist gar nichts zu melden, ist weder fleißig noch mannschaftsdienlich und selbstlos schon gar nicht - wenn er ein Tor wittert, nimmt er selbst dem Mitspieler den Ball ab.

Das Problem ist: Pippo Inzaghi wittert das Tor wie kein anderer Spieler auf diesem verdammten Planeten. Wenn einer schläft, ist er da. Sofort. Und er ist ja wirklich IMMER da, wenn einer schläft. Es wird vermutlich einfach zu viel geschlafen auf den Fußballplätzen dieser Welt, denn Inzaghi hat ja alles, alles, alles schon gewonnen und dabei meist auch noch die entscheidenden Tore gemacht. Im Europacup hat er kürzlich zum 63. Mal ... nun ja, eingewichst, anders kann man das ja gar nicht nennen.

Pippo Inzaghi ist jetzt also der erfolgreichste Torjäger der Europacup-Geschichte. Und Weltmeister. Und Champions-League-Sieger. Und Gewinner des Weltpokals (4:2 gegen Boca Juniors, zwei Mal: Inzaghi). Es ist der reine Hohn. So wie dieser Text. Würde Inzaghi für meine Mannschaft spielen, ich würde sein Trikot tragen. Mit Stolz. Es fröstelt mich bei diesem Gedanken. Aber Inzaghi ist so viel mehr Fenomeno als Ronaldo es je war. Das rechtfertigt Zorn und Hass. Aber auch Ehrfurcht und Bewunderung. Bei mir hält es sich schon immer die Waage.